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Fastenmusik - Böjti Zene op. 79

Komponist: Eröd, Iván
Verlag: Doblinger


Iván Eröds Fastenmusik op. 79 fasst Orgelstücke nach altrömischen Gesängen zusammen. Es handelt sich um „Zwischenmusiken“, die Eröds enger Freund László Dobszay für eine der letzten CD-Aufnahmen seines Chores erbat. Im Vergleich zur Gregorianik zeigen altrömische Gesänge fast durchgehend Schrittbewegungen sowie vermehrt Umspielungen und weniger Intervallsprünge.

Das Werk gliedert sich in sieben unterschiedlich lange Teile (in Folge mit 1 – 7 bezeichnet). Alle schöpfen ihr melodisches Material aus den Gesängen, nicht alle Teile jedoch zeigen ihren Bezug zu den Gesängen im Titel, zB. Interludium. Fuga a tre (5).
Umrahmt wird Eröds Fastenmusik traditionell von einem Praeludium (1) und einem Postludium (7, Postludium. „Scapulis suis“). Beide Kompositionen zeigen Parallelen in ihrer Mehrteiligkeit und ihrer wechselnden Stimmenanzahl.
Dem Praeludium folgen 3 unterschiedliche Fantasien: Fantasia super „In jejunio“ (2), Fantasia super „Abscondite“ (3), Fantasia super „Petre amas“ (4). An fünfter Stelle erklingt das Interludium. Fuga a tre (5). Danach folgt das kürzeste der Stücke Ad elevationem (6), das Postludium. „Scapulis suis“ (7) beschließt Eröds Fastenmusik.
„Ad elevationem“ (6) steht mit der ersten der Fantasien, mit der Fantasia super „In jejunio“ (2), in Zusammenhang: die linke Hand spielt die gleiche seufzerähnliche 3-taktige Motivik, die sich mehrfach in transponierter Weise wiederholt.
Ebenso beziehen sich das Interludium. Fuga a tre (5) und die Fantasia super „Abscondite“ (3) thematisch aufeinander: Sie bedienen sich des gleichen Fugenthemas. Die Fantasia erinnert mit ihrem Notenbild an die klassische Vokalpolyphonie der Niederländischen Schule. Das Interludium zeigt das Notenbild einer barocken instrumentalen Fuge.
Diese beiden Stücke (3 und 5) beziehen als einzige der sieben auch Pedal mit ein. Somit zeigt die Abfolge der Zwischenmusiken eine symmetrische Anlage, die das Inhaltsverzeichnis allein noch nicht erkennen lässt (1 und 7, 2 und 6, 3 und 5, 4 in der Mitte). Zusätzlich nehmen die Stücke auch „kleinräumiger“ Bezug aufeinander, zB. wenn sich dem Interludium. Fuge a tre (5) in den Schlusstakten eine 4. (!) Stimme (Pedal) hinzugesellt. Diese ist dem altrömischen Gesang „In jejunio“ entnommen, welcher der Fantasia super „In jejunio“ (2) vorangestellt ist. Konkret wird daraus das „Parce Domine“ (Schone, Herr …) zweimal zitiert.

Iván Eröd bedient sich einer klaren Formen- und einer konsequenten Tonsprache. Anhand des Praeludiums (1) soll dies detailliert beleuchtet werden:
Die einstimmige Melodie, die das Präludium eröffnet, hat ihren motivischen Kern in den letzten drei Melodietönen des altrömischen Gesangs „Cum jejunatis“ (hier a1-g1-fis1). Innerhalb der ersten Zeile erweitert Eröd mit Hilfe dieses Motivs den Tonraum Schritt für Schritt nach oben, bis er das d2 erreicht. Somit ist der gesamte Tonraum des altrömischen Gesangs vorgestellt. In der zweiten Zeile des Praeludiums spielt die linke Hand dieselbe Melodie, jedoch quintversetzt (mit d1 beginnend) und mit um eine Achtel verlängerten Notenwerten. Die unterschiedliche Vorzeichnung (fis, cis für das System der rechten Hand und lediglich fis für die linke Hand) mag vorerst verwundern. Sie ist sicherlich dem Bestreben des Komponisten geschuldet, dass die Stimme der linken Hand zu jener der rechten in parallelen Quinten erklingt.
Damit beide Stimmen gleichzeitig schließen, verkürzt Eröd die Melodie der linken Hand. Die 3. Zeile des Präludiums ist betitelt mit „Cum jejunatis“. Hier setzt Eröd die das Präludium eröffnende Melodie in ihrer Gesamtheit eine Quinte tiefer und die Stimme der rechten Hand zeigt den altrömischen Gesang in unsere moderne rhythmische Notation gesetzt. Der Komponist versucht damit den Duktus des Gesangs nachzuzeichnen.
Im nun folgenden, durchgehend zweistimmigen 5/8-Teil (Doppio movimento) arbeitet Eröd wie zu Beginn wieder mit dem motivischen Kern a1-g1-fis1. Dieser Stimme wird ein Kontrapunkt entgegengesetzt, der als charakteristisches Intervall die reine Quarte zeigt. Sie sticht ins Auge, weil die Musik bis hierher rein linear verlaufen ist. Nach jeweils 9-taktigen Abschnitten folgt eine transponierte Wiederholung der Musik. Eröd nimmt zusätzlich einen Stimmentausch vor, sodass die Funktion der beiden Hände nach jeweils 9 Takten wechselt.
Bei Tempo I erklingt wieder der Quintkanon des Beginns, allerdings transponiert und die Melodie der linken Hand verläuft als Spiegelung. Die folgenden 3 Zeilen des Präludiums setzen diese Art des Quintkanons fort (transponiert) und fügen diesem wie auch in Zeile 3 dieses Präludiums den altrömischen Gesang „Cum jejunatis“ – wieder rhythmisch an die moderne Notation angeglichen - transponiert hinzu.  
Erneut folgt ein Teil, der mit „Doppio movimento“ überschrieben ist – diesmal allerdings kürzer gehalten - und der wie der zuerst beschriebene aufgebaut ist.
Abschließend erklingt noch einmal der Quintkanon, jedoch auch diesmal wieder etwas abgeändert, nämlich in 5-stimmigen Akkorden. Wie beim ersten Erklingen (Beginn) beginnt er mit dem Kernmotiv a1-g1-fis1, wie beim zweiten Erklingen verläuft die Stimme der linken Hand (hier in parallelen Quinten) als Spiegelung.
Diese klare Formen- und Kompositionssprache setzt Eröd in den folgenden Teilen der Fastenmusik fort. Die altrömischen Gesänge sind klarer Ausgangs- und Bezugspunkt dieser Werke. Sie sind präsent und gut hörbar, nie versteckt oder verschachtelt komponiert. Immer zeigen sie sich als melodische und cantable Linien.

Optisch erscheint Eröds Fastenmusik klassisch schlicht und visuell ansprechend im A4-Hochformat. Das Druckbild ist klar und gut lesbar.
Vor den Stücken 1-4 und 7 ist der altrömische Gesang gedruckt, was für das Verständnis des Werkes unabdingbar ist. Lediglich die Übersetzung des lateinischen Textes ins Deutsche sowie die Angabe der Bibelstellen muss sich der Interpret bei Bedarf selbst suchen.
Das Werk enthält zahlreiche Angaben zu Tempo, Artikulation und Klangfarbe. Teile mit Taktstrichen und Teile ohne wechseln einander ab. Immer sind die Angaben zu Vorzeichen eindeutig und klar verständlich. Der Preis von 21,15 Euro ist absolut gerechtfertigt.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass Iván Eröd mit seiner Fastenmusik ein spannendes Werk geschaffen hat, das vor allem mit – aber auch ohne – Chor Platz auf Konzertprorammen finden soll. Sicherlich ist es ansprechend sowohl für Kenner der zeitgenössischen Musik wie auch für Publikum, das bislang wenig Erfahrung mit nicht-tonaler Musik gesammelt hat. Teile daraus eignen sich auch hervorragend für junge Orgelschüler, die somit abseits der klassischen Tonalität die Klangsprache dieses Komponisten kennen lernen können.

Sigrid Wolfbauer-Gartner für www.orgel-information.de
Oktober 2020 / Januar 2021

Diese Noten sind im gut sortierten Buch-/Musikhandel erhältlich
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