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Das Mannheimer Wunderwerk

Herausgeber: Carmenio Ferrulli / Johannes Matthias Michel
ISBN: 978-3-95505-113-6
Verlag: Regionalkultur

Ein Musterbeispiel wieder errungener Klangkultur
Festschrift zur Restaurierung der Steinmeyer-Orgel der Christuskirche Mannheim von 1911


Leider hat die ideologische Sicht der „Orgelbewegung“ spätromantische orchestrale Orgeln geradezu „verteufelt“. (Orgelfabrik…)
Und Helmut Walcha stellt 1938 lapidar fest: „Das Wesen der Orgel ist statisch“… und eine weitere Aussage: „Walze und Schweller sind orgelfremd, weil sie der Orgel Übergangsdynamik aufzwängen“ Somit waren viele technische Errungenschaften „verdächtig“ (Fernwerk, Spielhilfen, Celesta!). Reger war wohl eine exotische Ausnahmeerscheinung, ansonsten war romantische Orgelmusik verpönt. Diese einseitige Sicht war eine zeitbedingte Schieflage.

Im Aufsatz von C. Ferrulli erfahren wir die ausführliche Historie von Steinmeyers Opus 1.100 aus 1911 in der Christus-Kirche in Mannheim. Diese monumentale Ausnahme- und Prachtorgel erfährt heutzutage wieder die ihr gebührende objektive Wertschätzung.
Das damalige Suchen und Ringen um die „ideale“ Disposition ist umfangreich dokumentiert (Korrespondenz, Firmenschriften, Konzertprogramme und Gutachten…). Doch schon 1912 kommt es zu Veränderungen bei den Spielhilfen. Auch die Rolle des Fernwerks wird noch öfters geändert. 1939 wird der (ursprüngliche pneumatische durch einen neuen elektrischen) Spieltisch ersetzt. Zitat des Organisten Arno Landmann zu späteren Eingriffen: „Eine klangliche Verbesserung der modernen Orgel zur Erreichung größerer Klarheit der Polyphonie im Forte, mehr Selbständigkeit und Eigenart der Charakterstimmen wird jeder begrüßen“ (S. 94). Auch ein Zimbelstern (!) gesellt sich dazu. Ein Kuriosum bleibt die Frage nach dem mehrfach (!) geändertem Stimmton. Ob es sich hier um Eigenmächtigkeiten und Eitelkeiten handelt?

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Instrument relativ unbeschadet. Ein Wandel der ästhetischen Einstellung führte dazu, daß der damalige Kantor Heinz Markus Göttsche ein Neubauprojekt (!) vorsah, das aber glücklicherweise Makulatur blieb. Immerhin formuliert es der OSV Bernd Sulzmann 1974 so „... diese Werk mit 95 Registern stellt die schlechthin zeitlose, vollendete romantische Orgel dar“ (S. 101). Die Erbauerfirma Steinmeyer nahm 1984 eine Restaurierung vor, die wieder die Originaldisposition beabsichtigte. Weitere Maßnahmen ab 1995 sind aufgeführt.

Der Aufsatz von Markus Lenter „Von der Flöte zum Orchester“ ist gut allgemeinverständlich formuliert. Besonderheiten kommen zur Sprache (Hochdruckstimmen, differenzierte Werke, dynamische Nuancen und Raffinessen). Im Abschnitt Restaurierung 2016-2018 – realisiert durch die Firmen Link aus Giengen (Windladensystem) und Lenter aus Sachsenheim (Elektrik, Spieltisch, Intonation) wird der vorgefundene Status geschildert. Noch detaillierter und differenzierter stellt der derzeitige Kantor J. M. Michel Sanierungsmaßnahmen dar (Känguru-Leder (!) für 5.576 Taschenventile bis hin zur modernen Setzeranlage). Auch hier hat die digitale Welt Spuren hinterlassen. Martin Kares berichtet ausführlich über Entwicklung, Erfindungen und Leistungen des Orgelbauunternehmens G.F. Steinmeyer.

KMD Prof. J.M. Michel ist Vorsitzender der 1984 in Heidelberg gegründeten Karg-Elert Gesellschaft. Von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) stammt das Epitheton: „Mannheimer Wunderwerk“. Die Mannheimer Orgel hatte Karg-Elert also nachweislich frühzeitig kennengelernt. Denn bereits 1911 widmete er dem amtierenden Organisten Arno Landmann (1887-1966) seine Impression op. 86,9. Karg-Elert darf durchaus als eine „Schlüsselfigur“ bezeichnet werden. Er selbst sah sich durchaus als Außenseiter (Einzelkämpfer). Verschwiegen werden darf hier nicht die unglückliche Position von Karl Straube und Hermann Grabner Karg-Elert gegenüber. Stilistisch ist Karg-Elert schwierig einzuordnen: ein spätromantischer Komponist mit im- und expressionistischen Einschlägen. Mit Reger hat er die kurze Lebenszeit gemeinsam.

Kantor Michel erklärt alsdann in einem Aufsatz „Warum gibt es in der Christuskirche eine zweite Orgel?“ über die Marcussen-Orgel von 1988, die barocken Repertoire möglich macht. Im chronologischen Überblick werden Kantoren und Organisten (auch Gastorganisten) genannt. Desweiteren gibt es eine Danksagung mit Namensnennung von Förderern und Sponsoren. Ebenfalls gibt es Hinweise zu Schallplatten- und CD-Aufnahmen.
Der vorliegende Band bietet im guten Preis-Leistungs-Verhältnis eine perfekte Dokumentation der spätromantischen Steinmeyer-Orgel, die keine Wünsche offen lässt. Aufgrund des Monumentalbaues der Mannheimer Christuskirche (Jugendstil und Neo-barock) mit dem passendem Orgelprospekt und der singulären Stellung und Bedeutung des Gesamtkunstwerkes ist diese Publikation eine hervorragende Würdigung und Bereicherung.


Christoph Brückner - für www.orgel-information.de
Juli 2019 / Januar 2020


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